Donnerstag, 11. März 2010

Das innere Studio

Hier gings um Technik, hier ging die Technik um: Computerboxen aufstellen, verkabeln, auf Play drücken, loshören.
Was. Grober Rundfunk mit Klicken und Schnalzen. Wie Delphine sich im Meeresraum verorten, wie Wände den Schall verhindern, wie die Stimme gegen Isolierung anrennt. Ein Radioessay, produziert in der Reihe Radiokunst des ORF, kuratiert von Christiane Zintzen. Nirgendwo außer in Österreich gibt es wohl solche Produktionsbedingungen für avantgardistische Möglichkeiten: Die Autorin Sabine Scho sprach, verzerrte und vergeräuschte ihren Text innerhalb von drei Tagen, unter anderem unterstützt von Ziegenhüfchen-Rasseln, wie das Blog inadaequat berichtet. Dort finden sich auch weitere maschinische Details und Textauszüge wie dieser:
das studio als ding versteckt sich hinter der undinglichen absicht des radios. ich zerre es hervor. es zickt. es schluckt mich, ich bin schon jetzt gegen das studio und muss mit der studiotechnik kooperieren. ich fürchte, die technik wird mich überlisten, denn sie kennt das studio. ich kenne es nicht.
Neulich erzählte mir jemand, dass der ORF in den 1980er Jahren Videokünstler bat, kurze Filme zu drehen, Videokunststücke, die wohl immer noch ab und zu durch die Fernsehprogramme geistern.

Freitag, 12. Februar 2010

27. Februar 2010: Pendeln


11 Millionen EinwohnerInnen leben in der brasilianischen Großstadt São Paolo. Und Sabine Scho ist eine halbe davon. Warum eine halbe? Weil sie zur anderen Hälfte in Berlin lebt, genauer in Moabit. Klingt nach Pendelverkehr und Wetterflucht, aber dieses Pendeln ist nicht immer von Vorteil. Wir jedenfalls freuen uns, dass sie in diesen Eiszeiten noch in Berlin weilt und bei uns im Hinterzimmer zu Gast sein wird am Ende des Monats Februar. Vorstellen wird sie ihr mit dem ORF in Wien produziertes Hörstück "Grober Rundfunk", sie wird ein paar Sachen aus den berüchtigten "Rotten Kinck Schow"s lesen und wenn wir Glück haben, auch ein paar Fotos zeigen aus der Megapolis São Paolo, in die es sie demnächst wieder ziehen wird.

Mehr zu ihr: Ihr Geburtstag ist der 1. September, geboren wurde sie im westfälischen Ochtrup, und zwar im Jahr d.H. 1970. Furore machte sie mit dem Doppelschlag "Album" und "farben" bei Kookbooks. Für ihre Gedichte musste sie sich einmal den Leonce-und-Lena-Preis teilen, und zwar 2001. Mehr hier.

Sabine Scho ist zu Gast im Hinterzimmer-Salong, Forster Str. 57, Berlin-Kreuzberg am Samstag, 27. Februar, 16 Uhr, pünktliches Erscheinen gilt als höflich. Eintritt: Hutspende.

Donnerstag, 28. Januar 2010

Todo el día escuchando la motosierra

Wer übersetzt, muss sich an den fremden Text annähern, ihn nachfühlen, ihn heranlassen, wie bei einem Flirt. Aber gleichzeitig gibt es den Abstandhalter der eigenen Sprache, sie will Distanz, ist wie ein eifersüchtiger Freund. Diese Spannung auszuhalten, ist wichtig. Nur dann kommt etwas in Gang zwischen Rhythmen, Bildern, Zeilenbrüchen, Vokalklängen, Aussagen. Übersetzen ist Nachmachen - mit dem Werkzeug, das gerade da ist. Mehr gibt es nicht. Und so wird jedes übersetzte Gedicht - jeder übersetzte Text - immer auch nach dem Werkzeug des Übersetzers klingen. Nach einer Handschrift. Wie man hier sieht. René bleibt bei der Axt, ich selbst habe mir alles als Bett-Szene vorgestellt, das Ende eines One-Night-Stands. Und Paz Levinson meinte es sicher ganz anders. Was meint ihr?

Todo el día escuchando la motosierra

En el tiempo que preparo algo para almorzar
se puede cortar un tronco bastante ancho.
Los movimientos de los últimos días
habían avanzado el final para el único árbol de la cuadra.
Ahora suena ese mosco gigante que chilla y se calla
y vuelve a chillar, tan molesto que cierro las ventanas.
Quiero que le pase algo malo al señor por cortar el árbol
pero en el momento que pienso eso me siento culpable:
es un trabajador, como vos enseñas él tiene que cortar el árbol.
El árbol es lo único que veo cuando abro los ojos desde la cama
el verde del ficus que se mueve con el viento
y ahora escucho, no quiero mirar cuando caiga
pero no hago más que estar en la ventana,
le lleva mucho tiempo cortarlo
calculo que el árbol tiene muchos años, la madera debe ser dura
no quiero mirar pero me cuesta no escuchar,
mejor me visto, salgo, cruzo y lo ayudo
así termina todo esto más rápido
nos podemos reorganizar: él sigue con la motosierra,
y yo puedo terminar con el hacha.


Den ganzen Tag höre ich die Kettensägen

Von einer Zeit die sich auf Almosen vorbereitet
Kann man sich ein ziemlich breites Stück abschneiden
Die Bewegungen der letzten Tage
kreisten um den letzten gebliebenen Baum.
Sie klingen wie riesige Mücken und pausieren
und schreien plötzlich wieder auf, was so nervig ist
dass ich die Fenster schließe.
Ich wünsche Ihnen alles Schlechte, Herr Oberförster
Und gleichzeitig fühle ich mich schuldig:
Es ist ja nur ihr Job, Sie sind dafür ausgebildet.
Aber der Baum ist alles, was ich sehe, wenn ich meine Augen öffne
Die grünen Äste, die im Wind schaukeln
und jetzt kann ich hören, nicht sehen, wie er fällt
und ich stehe im Fenster
das Kettensägenmassaker geht weiter
Ich rechne das Alter des Baumes aus, harte Arbeit
Ich möchte nicht zusehen, und zuhören auch nicht
Ich glaube, ich gehe besser, denke ich und gehe
und helfe bei der Arbeit und alles geht schnell plötzlich
Wir stimmen uns aufeinander ab: Er die Kettensäge
Ich die Axt.


ein tag in der motorwüste

es gibt zeiten fürs vorbereiten (von frühstück)
und zeiten für das basteln von bastard-särgen.
bestimmte bewegungen der letzten tage verkündeten
dem letzten baum des viertels sein ende.
jetzt träumt eine riesenmücke, die friert und schweigt
und frierend fliegt, vom molligen moskitofenster.
ich wünsche mir, dass der mann, der den baum fällt,
gassi geht, denn dieser gedanke ist unschuldig.
aber er ist arbeiter, du bist lehrer: er muss den baum fällen.
wenn ich baumaugen hätte, wäre er mit mir im bett,
der grüne ficus, der sich im wind bewegt.
ich will ihn hören, will nicht sehen, wie er kippt,
aber ich harre am fenster aus,
hebe ihn hoch, lange, erzähle ihm etwas,
zähle seine jahresringe, hartes, reifes holz.
ich will ihn nicht bewundern, aber zuhören schmerzt,
besser wäre, er sähe mich, gesund, bekreuzigt, die schwester
des exits, so ginge das doch viel schneller. wir stellen
uns neu auf: er geht in die motorwüste,
und ich kann aufhören mit dem naschen.

Sonntag, 17. Januar 2010

23. Januar 2010: Inventarisieren

Auch sie hat ein Blog: Maria Paz Levinson, Dichterin aus Buenos Aires, inventarisiert seit ein paar Monaten die Dinge, die sich in der Vitrine ihrer Großmutter angesammelt haben und stellt passende Texte dazu. Nun kommt sie in den Hinterzimmer-Salon und wird über das lyrische Bloggen sprechen, natürlich auch über Gedichte, über Dinge, über Schönheit, vielleicht auch über die Transferleistungen von Übersetzern, denn auch das Übersetzen von Bildern in Sprache, von Fotos in Gedichte muss von einem vorhandenen Inventar ausgehen. René und ich haben dafür zwei ihrer Gedichte nachübertragen, ganz ohne Lexikon, nur mit dem sprachlichen Material, das uns zur Verfügung steht. Hier die erste Kostprobe: erst Paz, dann ich, dann René.

Pongo un disco vinilo y escucho
la música regada por la lluvia de los años,
el disco cambió con el tiempo y eso es irreversible
lo lavo para sacarle el polvo
sigo con el trapo amarillo los surcos en redondo
va a salir música si sigo frotando.

Me pregunto, si yo cambié tanto,
si todavía alguien al oírme puede reconocer mi voz
como reconozco la canción que sale del viejo parlante.

ich lege eine platte auf und höre
renegaden-musik für den regen der jahre.
die zeit ist währung, umtausch unmöglich.
rillen waschen und von staub säubern,
immer im kreis mit dem goldenen arm,
so dass musik erklingt, wenn ich reibe.

bin auch ich eine andere geworden?
erkennt mich jemand an meiner stimme
so wie ich die musik am alten parlando?

Ich werfe eine Schallplatte und höre sie fallen

Die rigide Musik, die Elektrostatik der Jahre
die Schallplatte knistert, die Kratzer sind irreversibel
Wir streuen ein Pulver und drehen durch
Wir trinken Putzmittel aus Amarillo
Ich tanze mit der Flasche aus Amarillo und drehe mich

Und frage, während ich tanze, ob jemand
meine Stimme erkennt, wenn sie aufgenommen ist
sie wieder erkennt, wie ich diesen Gesang des Staubs

12. Dezember 2009: Bademoden

Die junge Autorin aus Northern Virginia, Kat Hausler, veröffentlichte ihren ersten Band mit Short Stories "Heroes & Other Stories" 2009 bei "All Things That Matter Press". Kurz war er auch bei Amazon erhältlich - weil es ein kleiner Verlag ist, musste sie das Buch dort als "used" einstellen. (Ja, wir lieben Amazon!) Sie schreibt über das Leben in großen Städten und las auch eine neue Geschichte aus Berlin, wo sie seit etwa einem halben Jahr wohnt. Darin litt eine Studentin an der Unverbindlichkeit und Ablenkungsvielfalt des hiesigen Sommers - vom Badeschiff bis zum Tiergarten.

Kostproben ihres Schreibens finden sich auf ihrem Blog über "Fiction, Life in Berlin and Blah Blah Blah".

14. November 2009: Afghanistan, unendliche Geschichte?


In der zweiten Hinterzimmer-Saison haben wir das Konzept etwas verändert. Wir wollten den Autoren mehr Raum geben, daher laden wir nur eine Person pro Termin ein. Statt zweimal pro Monat finden die Lesungen nur noch einmal im Monat statt. Warum? Vielleicht habt ihr ja eine kleine Idee?

Im November las der afghanische Autor Massum Faryar, den ich auf dem Karneval der Kulturen kennenlernte, weil wir beide am gleichen Stand auf Bier warteten. Er sitzt täglich in ein und demselben Café und arbeitet an einem Riesen-Romanprojekt über die Geschichte seines Landes im 20. Jahrhundert, erzählt anhand einer Familie, mit Märchenelementen. Dessen Titel "Buzkashi" verweist auf ein traditionelles Spiel, eine Art Polo um den Kopf einer toten Ziege. Massum kam in den 1980er Jahren nach Deutschland, war Stipendiat auf Schloss Wiepersdorf und wurde auch vom Künstlerdorf Schöppingen gefördert. Im Sommer 2010 soll sein Buch fertig sein, wir drücken ihm die Daumen!

18. April 2009: Mann und Frau


Zum Abschluss der Hinterzimmer-Salon-Lesereihe 2008/2009, die von den USA über Irland und Bolivien bis in den Irak und natürlich nach Berlin führte, lasen wir Gastgeber eigene neue Texte. Das waren und sind wir:

Nikola Richter kam 1976 in einer Hansestadt zur Welt. Manche meinen, es sei Hamburg gewesen, sie selbst gibt bevorzugt Bremen als Geburtsstadt an. Dort ist sie auch aufgewachsen und hat Abitur gemacht (siehe auch: "Das Abibuch", Berlin 2007). Zum Studieren ging sie nach Tübingen, machte einen Ausflug nach Norwich und einen nach Pécs und landete schließlich in Berlin, wo sie immer noch lebt. Sie hat Lesebühnen- und Onlineerfahrung gesammelt, schrieb Gedichte, Prosa und drei Theaterstücke und arbeitet als Redakteurin für verschiedenen Medien. Mit ihrer Schwester Franziska gab sie zwei Reader für Jugendliche heraus, zuletzt "Liebes-Erklärungen. Ein Sexbuch". Von Nikola ist u.a. erschienen: "roaming", "die do-re-mi-maschine", Gedichte, "Die Lebenspraktikanten", eine Art Dokufiktion, und zuletzt "Schluss machen auf einer Insel", Storys. Damals leitete sie gerade ein Projekt für das Berliner Theatertreffen, den Theatertreffen-Blog. Sie las eine Kurzgeschichte über so genannte Katzenmänner.

René Hamann schreibt und schreibt und schreibt, als Journalist für diverse trendige Magazine wie für alltägliche Zeitungen, aber auch als Lyriker und Prosaautor. Im April 2009 erschien sein neuer Gedichtband "berge und täler, davor männer und frauen" im Gutleut Verlag. Stadtbekannt wurde er zuletzt durch sein Buch "Das Alphabet der Stadt" (Verbrecher Verlag) mit seinen gesammelten taz-Kolumnen über Berliner Stadtteile von Adlershof bis Zehlendorf. Obwohl er aus dem schönen Emmerich am Rhein stammt, ist er HSV-Fan, was im Frühjahr 2009 sicherlich Spaß machte. Außerdem liebt er Erdnussbutter und kann Bohnen mit Speck kochen. Er ist nicht länger Mitglied im Netzschreibkollektiv Forum der 13, veröffentlichte den Soaproman "Schaum für immer" (Tisch7, 2007) und legt hier und da in Berlin Platten auf.