Donnerstag, 28. Januar 2010

Todo el día escuchando la motosierra

Wer übersetzt, muss sich an den fremden Text annähern, ihn nachfühlen, ihn heranlassen, wie bei einem Flirt. Aber gleichzeitig gibt es den Abstandhalter der eigenen Sprache, sie will Distanz, ist wie ein eifersüchtiger Freund. Diese Spannung auszuhalten, ist wichtig. Nur dann kommt etwas in Gang zwischen Rhythmen, Bildern, Zeilenbrüchen, Vokalklängen, Aussagen. Übersetzen ist Nachmachen - mit dem Werkzeug, das gerade da ist. Mehr gibt es nicht. Und so wird jedes übersetzte Gedicht - jeder übersetzte Text - immer auch nach dem Werkzeug des Übersetzers klingen. Nach einer Handschrift. Wie man hier sieht. René bleibt bei der Axt, ich selbst habe mir alles als Bett-Szene vorgestellt, das Ende eines One-Night-Stands. Und Paz Levinson meinte es sicher ganz anders. Was meint ihr?

Todo el día escuchando la motosierra

En el tiempo que preparo algo para almorzar
se puede cortar un tronco bastante ancho.
Los movimientos de los últimos días
habían avanzado el final para el único árbol de la cuadra.
Ahora suena ese mosco gigante que chilla y se calla
y vuelve a chillar, tan molesto que cierro las ventanas.
Quiero que le pase algo malo al señor por cortar el árbol
pero en el momento que pienso eso me siento culpable:
es un trabajador, como vos enseñas él tiene que cortar el árbol.
El árbol es lo único que veo cuando abro los ojos desde la cama
el verde del ficus que se mueve con el viento
y ahora escucho, no quiero mirar cuando caiga
pero no hago más que estar en la ventana,
le lleva mucho tiempo cortarlo
calculo que el árbol tiene muchos años, la madera debe ser dura
no quiero mirar pero me cuesta no escuchar,
mejor me visto, salgo, cruzo y lo ayudo
así termina todo esto más rápido
nos podemos reorganizar: él sigue con la motosierra,
y yo puedo terminar con el hacha.


Den ganzen Tag höre ich die Kettensägen

Von einer Zeit die sich auf Almosen vorbereitet
Kann man sich ein ziemlich breites Stück abschneiden
Die Bewegungen der letzten Tage
kreisten um den letzten gebliebenen Baum.
Sie klingen wie riesige Mücken und pausieren
und schreien plötzlich wieder auf, was so nervig ist
dass ich die Fenster schließe.
Ich wünsche Ihnen alles Schlechte, Herr Oberförster
Und gleichzeitig fühle ich mich schuldig:
Es ist ja nur ihr Job, Sie sind dafür ausgebildet.
Aber der Baum ist alles, was ich sehe, wenn ich meine Augen öffne
Die grünen Äste, die im Wind schaukeln
und jetzt kann ich hören, nicht sehen, wie er fällt
und ich stehe im Fenster
das Kettensägenmassaker geht weiter
Ich rechne das Alter des Baumes aus, harte Arbeit
Ich möchte nicht zusehen, und zuhören auch nicht
Ich glaube, ich gehe besser, denke ich und gehe
und helfe bei der Arbeit und alles geht schnell plötzlich
Wir stimmen uns aufeinander ab: Er die Kettensäge
Ich die Axt.


ein tag in der motorwüste

es gibt zeiten fürs vorbereiten (von frühstück)
und zeiten für das basteln von bastard-särgen.
bestimmte bewegungen der letzten tage verkündeten
dem letzten baum des viertels sein ende.
jetzt träumt eine riesenmücke, die friert und schweigt
und frierend fliegt, vom molligen moskitofenster.
ich wünsche mir, dass der mann, der den baum fällt,
gassi geht, denn dieser gedanke ist unschuldig.
aber er ist arbeiter, du bist lehrer: er muss den baum fällen.
wenn ich baumaugen hätte, wäre er mit mir im bett,
der grüne ficus, der sich im wind bewegt.
ich will ihn hören, will nicht sehen, wie er kippt,
aber ich harre am fenster aus,
hebe ihn hoch, lange, erzähle ihm etwas,
zähle seine jahresringe, hartes, reifes holz.
ich will ihn nicht bewundern, aber zuhören schmerzt,
besser wäre, er sähe mich, gesund, bekreuzigt, die schwester
des exits, so ginge das doch viel schneller. wir stellen
uns neu auf: er geht in die motorwüste,
und ich kann aufhören mit dem naschen.

Sonntag, 17. Januar 2010

23. Januar 2010: Inventarisieren

Auch sie hat ein Blog: Maria Paz Levinson, Dichterin aus Buenos Aires, inventarisiert seit ein paar Monaten die Dinge, die sich in der Vitrine ihrer Großmutter angesammelt haben und stellt passende Texte dazu. Nun kommt sie in den Hinterzimmer-Salon und wird über das lyrische Bloggen sprechen, natürlich auch über Gedichte, über Dinge, über Schönheit, vielleicht auch über die Transferleistungen von Übersetzern, denn auch das Übersetzen von Bildern in Sprache, von Fotos in Gedichte muss von einem vorhandenen Inventar ausgehen. René und ich haben dafür zwei ihrer Gedichte nachübertragen, ganz ohne Lexikon, nur mit dem sprachlichen Material, das uns zur Verfügung steht. Hier die erste Kostprobe: erst Paz, dann ich, dann René.

Pongo un disco vinilo y escucho
la música regada por la lluvia de los años,
el disco cambió con el tiempo y eso es irreversible
lo lavo para sacarle el polvo
sigo con el trapo amarillo los surcos en redondo
va a salir música si sigo frotando.

Me pregunto, si yo cambié tanto,
si todavía alguien al oírme puede reconocer mi voz
como reconozco la canción que sale del viejo parlante.

ich lege eine platte auf und höre
renegaden-musik für den regen der jahre.
die zeit ist währung, umtausch unmöglich.
rillen waschen und von staub säubern,
immer im kreis mit dem goldenen arm,
so dass musik erklingt, wenn ich reibe.

bin auch ich eine andere geworden?
erkennt mich jemand an meiner stimme
so wie ich die musik am alten parlando?

Ich werfe eine Schallplatte und höre sie fallen

Die rigide Musik, die Elektrostatik der Jahre
die Schallplatte knistert, die Kratzer sind irreversibel
Wir streuen ein Pulver und drehen durch
Wir trinken Putzmittel aus Amarillo
Ich tanze mit der Flasche aus Amarillo und drehe mich

Und frage, während ich tanze, ob jemand
meine Stimme erkennt, wenn sie aufgenommen ist
sie wieder erkennt, wie ich diesen Gesang des Staubs

12. Dezember 2009: Bademoden

Die junge Autorin aus Northern Virginia, Kat Hausler, veröffentlichte ihren ersten Band mit Short Stories "Heroes & Other Stories" 2009 bei "All Things That Matter Press". Kurz war er auch bei Amazon erhältlich - weil es ein kleiner Verlag ist, musste sie das Buch dort als "used" einstellen. (Ja, wir lieben Amazon!) Sie schreibt über das Leben in großen Städten und las auch eine neue Geschichte aus Berlin, wo sie seit etwa einem halben Jahr wohnt. Darin litt eine Studentin an der Unverbindlichkeit und Ablenkungsvielfalt des hiesigen Sommers - vom Badeschiff bis zum Tiergarten.

Kostproben ihres Schreibens finden sich auf ihrem Blog über "Fiction, Life in Berlin and Blah Blah Blah".

14. November 2009: Afghanistan, unendliche Geschichte?


In der zweiten Hinterzimmer-Saison haben wir das Konzept etwas verändert. Wir wollten den Autoren mehr Raum geben, daher laden wir nur eine Person pro Termin ein. Statt zweimal pro Monat finden die Lesungen nur noch einmal im Monat statt. Warum? Vielleicht habt ihr ja eine kleine Idee?

Im November las der afghanische Autor Massum Faryar, den ich auf dem Karneval der Kulturen kennenlernte, weil wir beide am gleichen Stand auf Bier warteten. Er sitzt täglich in ein und demselben Café und arbeitet an einem Riesen-Romanprojekt über die Geschichte seines Landes im 20. Jahrhundert, erzählt anhand einer Familie, mit Märchenelementen. Dessen Titel "Buzkashi" verweist auf ein traditionelles Spiel, eine Art Polo um den Kopf einer toten Ziege. Massum kam in den 1980er Jahren nach Deutschland, war Stipendiat auf Schloss Wiepersdorf und wurde auch vom Künstlerdorf Schöppingen gefördert. Im Sommer 2010 soll sein Buch fertig sein, wir drücken ihm die Daumen!

18. April 2009: Mann und Frau


Zum Abschluss der Hinterzimmer-Salon-Lesereihe 2008/2009, die von den USA über Irland und Bolivien bis in den Irak und natürlich nach Berlin führte, lasen wir Gastgeber eigene neue Texte. Das waren und sind wir:

Nikola Richter kam 1976 in einer Hansestadt zur Welt. Manche meinen, es sei Hamburg gewesen, sie selbst gibt bevorzugt Bremen als Geburtsstadt an. Dort ist sie auch aufgewachsen und hat Abitur gemacht (siehe auch: "Das Abibuch", Berlin 2007). Zum Studieren ging sie nach Tübingen, machte einen Ausflug nach Norwich und einen nach Pécs und landete schließlich in Berlin, wo sie immer noch lebt. Sie hat Lesebühnen- und Onlineerfahrung gesammelt, schrieb Gedichte, Prosa und drei Theaterstücke und arbeitet als Redakteurin für verschiedenen Medien. Mit ihrer Schwester Franziska gab sie zwei Reader für Jugendliche heraus, zuletzt "Liebes-Erklärungen. Ein Sexbuch". Von Nikola ist u.a. erschienen: "roaming", "die do-re-mi-maschine", Gedichte, "Die Lebenspraktikanten", eine Art Dokufiktion, und zuletzt "Schluss machen auf einer Insel", Storys. Damals leitete sie gerade ein Projekt für das Berliner Theatertreffen, den Theatertreffen-Blog. Sie las eine Kurzgeschichte über so genannte Katzenmänner.

René Hamann schreibt und schreibt und schreibt, als Journalist für diverse trendige Magazine wie für alltägliche Zeitungen, aber auch als Lyriker und Prosaautor. Im April 2009 erschien sein neuer Gedichtband "berge und täler, davor männer und frauen" im Gutleut Verlag. Stadtbekannt wurde er zuletzt durch sein Buch "Das Alphabet der Stadt" (Verbrecher Verlag) mit seinen gesammelten taz-Kolumnen über Berliner Stadtteile von Adlershof bis Zehlendorf. Obwohl er aus dem schönen Emmerich am Rhein stammt, ist er HSV-Fan, was im Frühjahr 2009 sicherlich Spaß machte. Außerdem liebt er Erdnussbutter und kann Bohnen mit Speck kochen. Er ist nicht länger Mitglied im Netzschreibkollektiv Forum der 13, veröffentlichte den Soaproman "Schaum für immer" (Tisch7, 2007) und legt hier und da in Berlin Platten auf.

28. März: Deutsch-deutsch



Auch die Autoren der näheren Berliner Umgebung sollten gehört werden: Ambros Waibel las eine neue Kurzgeschichte, die sich als deutsch-deutscher Grenzessay (Stichwort: Grenzlandfahrten) entpuppte, und Mia Frimmer, Hörspieltexterin der freien Hörspielszene, präsentierte Hörbeispiele und las Texte über Monster, Sex und Fernsehen.

Ambros Waibel wurde 1968 in München geboren, studierte an drei Orten italienische und deutsche Literatur, arbeitete fürs Theater und hat mehrere Bücher veröffentlicht, die meisten davon im Verbrecher Verlag. Zuletzt erschien "Leben Lums". Ambros, der auch Vater zweier Kinder ist und in Berlin lebt, arbeitet außerdem als Meinungsredakteur der taz.

Mia Frimmer wurde 1970 unter anderem Namen geboren (ich habe sie aber an ihrer Stimme erkannt!) und studierte später Anglistik, Theater- und Literaturwissenschaften in London und Berlin. Sie machte ebenfalls Theater, später auch Film. Sie arbeitete in der Hörspielredaktion von Deutschland Radio Berlin und der Feature-Redaktion vom RBB. Seitdem schreibt sie Texte, besonders Hörspieltexte, 2002 gewann sie mit „Klappe zu. Affe tot“ den Karlsruher Hörspielpreis „Rote Röhre“. Sie lebt natürlich auch in Berlin.

14. März 2009: Wir erinnern uns



Ein Tagebuch aus Eriwan (Armenien) und Lebenserzählungen aus Czernowitz in der Bukowina, (heute Ukraine) berichteten über das Leben am Rande Europas. Wie erzählt sich der Alltag aus der Ferne (mit Demonstrationen, Kabelinstallationen), wie klingt die erlebte Geschichte (im Ghetto, in transnistrischen Lagern, in der Vor- und Nachkriegszeit)?

Marc Degens, geboren in Essen, ist Schriftsteller, Verleger der „Schöner Lesen“-Hefte, die seit 5 Jahren in Süßwarenautomaten an Berliner Bahnhöfen verkauft werden, und Herausgeber des Online-Feuilletons satt.org. Er lebte zum Zeitpunkt der Lesung seit eineinhalb Jahren mit seiner Frau in Eriwan, Armenien. Im Frühjahr 2009 erschein sein Aufsatzband „Abweichen. Über Bücher, Comics, Musik“ (Erata Literaturverlag). Marc Degens las aus seinem noch unveröffentlichten armenischen Tagebuch.

Gertrud Ranner fuhr vor jetzt vierzehn Jahren mit Anja Fiedler (Foto), Axel Halling und weiteren Studierenden des Osteuropainstituts der FU Berlin nach Czernowitz, um mit den letzten Holocaust-Überlebenden zu sprechen. Sie brachte die dort aufgenommenen Ton-Dokumente mit, von dem jiddischen Dichter Josef Burg – und von drei Klassenkameraden von Paul Celan, unter anderem auch von Herrn Zwilling und Frau Zuckermann, die manche vielleicht aus Volker Koepps gleichnamigem Film kennen. Das Buch dazu heißt „... und das Herz wird schwer dabei“ und war gerade im Verlag Deutsches Kulturforum östliches Europa erschienen.


21. Februar 2009: Irak


Ein großes Thema, ein Land, das seit Jahren im Post-Kriegszustand leidet. Wir stellten zwei Autoren vor, die ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Geschehnisse mitbrachten. Abbas Khider, geboren in Bagdad, der nach einer mehrjährigen Flucht über Libanon, Syrien, Griechenland, Italien etc. im Jahr 2000 in Deutschland ankam, las aus seinem noch unveröffentlichten neuen Roman, der anhand einer Familiensaga die jüngste Geschichte des Irak darstellt. Er spielt in der mythenreichen Stadt Babylon und beginnt mit viel Spucke. Eigentlich wollte Abbas Khider es damals, auf der Flucht, bis nach Schweden schaffen, aber zum Glück wurde er in Süddeutschland aufgegriffen. Denn sonst hätte er seinen erschütternd-komischen Migrationsroman „Der falsche Inder“ (edition nautilus, 2008) nicht auf Deutsch, sondern auf Schwedisch geschrieben.

Nicholas Kulish leitet das Berlin-Büro der New York Times, berichtet aber auch aus Bonn und München. Der gebürtige Washingtoner (sagt man das so?) arbeitete vorher als embedded journalist im Irak-Krieg. Davon handelt auch sein Buch „Last One In“ (Harper Collins, 2007). Aktuell war damals seine Investigation und die Aufdeckung der wahren Identität des in Ägypten untergekommenen KZ-Arztes Aribert Ferdinand Heim und sein Bericht über eines der letzten Nazi-Kriegsverbrechertribunale - Deutschland, ein Post-Diktaturland. 


Auch hier sind leider die Bilder vertauscht. Und ja, im Salon ist es oft sehr dunkel - zu dunkel für simple Kameras. Es geht mehr um die Atmosphäre...

7. Februar 2009: Mein Tourismus



Im ersten spanisch-portugiesisch-deutschen Salon verhandelten wir das Leben in fremden Städten, Nähe und Ferne und die vielen Schichtungen der Gesellschaft.

Rery Maldonado ist Autorin von politischer Prosa über Freiheitskämpfer im südbolivianischen Hinterland, sowie von Essays über ihre Familie, anhand derer sie die Entwicklungen der bolivianischen Gesellschaft zeigt, abgedruckt in der Wochenzeitung Pulso. Sie lebt seit mehr als zehn Jahren in Berlin, war, während über die neue bolivianische Verfassung verhandelt wurde, in La Paz und klärte uns darüber auf, wer eigentlich die „Bolis“ sind. (Weil jetzt schon wieder Zeit vergangen ist, weise ich gerne darauf hin, dass sie sich auch als Übersetzerin von Gedichten und Briefen Jörg Fausers hervortut.)

Der portugiesische Lyriker und studierte Philosoph Ivo Daniel Lima do Carmo kam als Gärtner von Nina Hagen nach Berlin und arbeitete auch als zitty-Verkäufer. Seine Gedichte wurden mit dem Preis „Jovens Criadores 2008“ ausgezeichnet. Sein Herzensthema lautet „Der Tourismus und meine Seele“, so heißt auch sein erster Lyrikband.


24. Januar 2009: Wild komisch


Wie man das Lachen in Texte hineinschreibt, erklärte wahrlich bühnenreif Julian Gough (zweites Foto) - mit schicker Alukrawatte. Er ist der stolze Autor einer satirischen Trilogie über die irische Gesellschaft, in der nichts nicht angesprochen wird: Katholizismus, Sex, Gewalt, Finanzkapital, Liebe, Heldentum. Die ersten beiden Teile "Juno and Juliet" und "Jude: Level 1" sind schon erschienen, "Jude in London" erblickt hoffentlich 2010 das Licht der Welt. Julian Gough war Gewinner des BBC National Short Story Awards 2007 und vertritt Irland in der Anthologie "Best European Fiction 2010". Vor allem tritt er auch als Sänger und Texter der literarischen und legendären irischen Band "Toasted Heretic" auf, die mit "Galway and Los Angeles" einen Top Ten-Hit in Irland erzielte. Hier kann man erfahren, was Julian über den satirischen, lyrischen Autor Clive James denkt. Julians eigene Webseite findet man hier.

Dann kam der Mann mit Gitarre, Elis, Mitglied der Berliner Lesebühne LSD (Liebe statt Drogen), die jeden Dienstag im Lokal auftrat. Der Hinterzimmer-Salon hatte die Ehre, Elis' letzten Berliner Auftritt vor seinem Wegzug zu beherbergen. Berühmt ist Elis unter anderem für seine McGyver-Geschichten bei der leider nicht mehr existenten Lesebühne O-Ton-Ute. Auf dem Foto hat er seine Gitarre versteckt. Und ich glaube auch, er war sogar krank.

20. Dezember 2008: New York, New York

Es ist schon fast eine Plattitüde, aber dennoch wahr: Berlin ist das New York der Nullerjahre. Daher widmeten wir dieser großartigen Stadt einen Nachmittag.

In Wirklichkeit wurde daraus eher ein Nachdenken über Ost- und Westküste und amerikanische Mythen. So las der Lyriker, Essayist und Herausgeber Ron Winkler, einer der besten Kenner der amerikanischen zeitgenössischen Lyrik (Herausgeber von "Schwerkraft. Junge amerikanische Lyrik", Jung und Jung, 2007),neue Übersetzungen der US- amerikanischen Dichter Jeffrey McDaniel und Rachel Zucker. Natürlich gabs auch frische Winkler-Gedichte zu New York, unterlegt mit einer Diashow seiner Fotos - und eine Vorführung von Poetry Videos, etwa das "Foxhole Manifesto".



Was wären die USA ohne die Westküste? Hollywood, Blumenkinder, kalifornische Rosinen? Paul Brodowsky, Prosa-Autor und Dramatiker, war im Sommer 2008 Stipendiat der Villa Aurora im kalifornischen Santa Monica und brachte ein dort begonnenes Manuskript mit, das vor allem beim Autofahren enstanden war, eingesprochen in ein Diktiergerät. Ja, ums Autofahren ging es durchaus. Aber auch um die Grenze zu Mexiko.


13. Dezember 2008: Narrating stories

Dieses war der erste Streich. Wie die Zeit rast. Trotz dem allseitigen Wunsch nach slow media. Im ersten Salonwinter 2008/2009 waren wir sehr ehrgeizig und haben vier Monate lang alle zwei Wochen zwei Autoren eingeladen. Gut, die letzte Lesung haben wir Gastgeber selbst bestritten, aber dennoch. Insgesamt 14 Autoren haben wir ohne Budget eingeladen und mit einem sehr freundlichen, konstruktiven Publikum kennenlernen können. Daher blicken wir jetzt kurz zurück.

Am Anfang versendeten wir sogar noch Pressemitteilungen, denn jede Lesung stand unter einem bestimmten Thema. Die ersten Damen widmeten sich am 13. Dezember 2008 dem Thema Short Story, bzw. Narrating. Die englische Autorin Clare Wigfall las eine neue Geschichte, "Along Birdcage Walk", eine Auftragsarbeit für die Londoner Parks. Ein Text aus ihrer ersten Erzählsammlung "The Loudest Sound and Nothing", Faber&Faber, 2007) wurde mit dem BBC National Short Story Award 2008 ausgezeichnet. Sie lebte zu dem Zeitpunkt erst seit einigen Monaten in Berlin, vorher lange Jahre in Prag. Die in Kalifornien aufgewachsene Autorin gründete mit elf Jahren in London ihre eigene Firma, einen Schminkservice für Kindergeburtstage und Kinderheime.

Weiterer Gast war die Lektorin des Berlin Verlags Anne-Katrin Heier, die, unterstützt von einem Stipendium des Literarischen Colloquium Berlins, an einem Romanmanuskript arbeitete.

Leider haben wir von dieser ersten Veranstaltung, die durch Clares Hund Monkey und ein lauschendes Kind bereichert wurde, keine Fotos.

Die erste Begegnung

Als ich eines Tages im nasskalten November mit einer Freundin durch meinen internationalen Kiez, die Freie Republik Kreuzberg, spazierte, die heutzutage voller Ausgehlokalitäten ist - sozusagen eine einzige Fußgängerzone für Touristen und sonstige Temporär-Sesshafte -, entdeckte ich in einer kleinen, fast unscheinbaren, aber dennoch lauschigen Nebenstraße das Café Johann Rose. Ich weiß immer noch nicht, warum es so heißt, aber der Name dieses Unbekannten Blumenmannes sprach mich an, wir gingen hinein und setzten uns direkt neben die Theke, ans Fenster. Es dauerte eine Weile, dann sah uns der Herr an der Bar, Christopher, wir bekamen sehr günstige Gläser Wein von Winzern in Süddeutschland. Es war dunkel und warm, die Sofas gemütlich, sofort fühlte ich mich wohl und wollte gar nicht mehr nach Hause gehen. Vor allem die Wärme überraschte mich. In Berlin sind viele Altbauten schlecht isoliert, der Wind pfeift durch die Ritzen. Hier konnte sogar die Tür eine Weile offen stehen, um ein bisschen Sauerstoff hineinzulassen, es wurde nicht kalt.

In der Zwischenzeit waren Musiker eingetroffen, der eine setzte sich ans Klavier, ein anderer stellte seinen Kontrabass auf. Wir bekamen ein Privatkonzert. Als wir bezahlten, musste ich doch etwas wissen: Warum nur fror ich hier nicht? Die Erklärung war ganz einfach. Unter dem Café befand sich der Heizungskeller für das gesamte Haus. Das nenne ich Synergieeffekte! Ja, erklärte Christopher weiter, wir machen hier Konzerte, hinten haben wir noch eine Raucherlounge, da gibts einmal die Woche Tatort, und noch weiter hinten würden wir gerne eine Galerie einrichten. Und Lesungen würden wir auch sehr gerne hier unterbringen. Wenn du Leute kennst... ?

Der mittlere Raum war über eine kleine Holztreppe zu betreten wie eine amerikanische Porch, aber so eingerichtet wie das typische, bürgerliche Wohnzimmer vor 50 Jahren: Polstergruppen, alter Plattenspieler, Fernseher in einer Kommode mit Rolljalousie, Flohmarkt-Schinken an den Wänden, Häkeldeckchen und Kerzenständer, Bibliothek. Eine Privatheit, die irgendwie vertraut, aber auch befremdlich wirkte.

Und so entstand die Idee für einen Hinterzimmer-Salon. Eine Lesereihe an einem warmen Ort, am Samstagnachmittag von Herbst bis Winter, bei Kaffee und Kuchen, der in diesem Café von einer begabten Studentin selbst gebacken wird. Die Autoren lesen aus unveröffentlichten Werken, auf verschiedensten Sprachen, sie reden über ihre Arbeitsprozesse, über ihre Einflüsse, ihre Länder, ihre Erfahrungen in der deutschen Hauptstadt. Den Salon gibt es nun in der zweiten Saison, weil das Publikum darauf drängte, dass es ihn weiter geben solle.

Aus der Galerie wurde leider nichts. Aber an selber Stelle befindet sich heute einer der wenigen Indoor-Spielplätze in Berlin. Denn an den Lese-Nachwuchs muss ja auch gedacht werden. Nikola Richter